Altersarmut in der Schweiz
Thema: News, Sozialpolitik
Die unsichtbare, unzureichend wahrgenommene Realität – eine Herausforderung, die uns alle angeht. Ein Leben lang gearbeitet und nun ausgelassen?
Wir, die Generation, die dieses Land über Jahrzehnte aufgebaut und mitgestaltet hat, blicken mit tiefer Sorge auf unsere Zukunft.
Während die Schweiz sich mit ihren Anstrengungen zur Armutsbekämpfung brüstet, bleibt eine wachsende Gefahr erschreckend unterbelichtet: die Altersarmut. Konzepte und Berichte des Bundesrats klingen gut und wichtig, doch sie lassen uns, die Seniorinnen und Senioren, die wir unser Leben lang in das System eingezahlt haben, weitgehend aus. Aus unserer Sicht ist das eine Schieflage, die dringend korrigiert werden muss, um tatsächliche Generationengerechtigkeit zu schaffen.
Unsere Realität: Übersehen trotz Lebensleistung
Der Fokus der aktuellen Strategien liegt auf Familien und Menschen im Erwerbsleben – das ist zweifellos wichtig. Doch was ist mit uns? Wer vertritt unsere Anliegen, wenn es um explodierende Gesundheitskosten, sinkende Renten und die allgegenwärtige Angst vor Einsamkeit geht? Unsere oft entbehrungsreiche Migrationsgeschichte und die harte Arbeit unter schwierigen Bedingungen, die vielfach zu geringen Renten führen, werden kaum beleuchtet. Wir sind keine Randgruppe, wir sind ein Fundament dieser Gesellschaft, das ein Leben lang mitgearbeitet hat! Die vorliegenden Dokumente – das „Konzept zur nationalen Struktur zur Armutsbekämpfung“, der „Zwischenbericht zur Weiterentwicklung der Armutsprävention“ und die „Evaluation der Nationalen Plattform gegen Armut“ – bestätigen unsere Befürchtungen. Sie zeigen, dass unsere spezifischen Bedürfnisse als ältere Menschen unzureichend berücksichtigt werden.
Die Schieflage: Wo die Politik versagt
Die Analyse aus der Perspektive von Organisationen wie VASOS/FARES und der Arbeitsgruppe Alter in der Gesellschaft + Migration des Schweizerischen Seniorenrates (SSR/CSA) offenbart erhebliche Defizite in der aktuellen Armutsstrategie des Bundesrates. Altersarmut wird ausgeblendet, denn es gibt kaum spezifische Massnahmen für uns Ältere; die Dokumente konzentrieren sich vornehmlich auf jüngere Bevölkerungsgruppen. Es gibt keine Mitsprache für Seniorinnen und Senioren: Der geplante „Rat für Armutsfragen“ sieht unsere gleichberechtigte Vertretung nicht vor. Unsere Expertise und Lebenserfahrung bleiben ungenutzt, und ein Rat von nur 8 bis 12 Personen scheint zudem keine ausreichende Repräsentativität für die Vielfalt der Armutsbetroffenen zu gewährleisten. Es mangelt an fehlenden Generationen-Brücken: Massnahmen konzentrieren sich auf Bildung und Arbeit, ignorieren aber altersgerechte Gesundheitsversorgung und den Kampf gegen soziale Isolation – Aspekte, die für uns im Alter von zentraler Bedeutung sind. Auch die Situation älterer Menschen mit Migrationsgeschichte, insbesondere von Frauen, wird unzureichend beleuchtet. Hinzu kommen finanzielle Kürzungen: In einer Phase, in der Unterstützung dringend benötigt wird, wurden die Mittel für die Armutsbekämpfung reduziert, was die Reichweite und Umsetzung der Empfehlungen zusätzlich erschwert.
Unsere Forderung: Gerechtigkeit jetzt
Wir lassen uns nicht länger abspeisen. Wir fordern einen ganzheitlichen Armutsansatz, der uns Seniorinnen und Senioren explizit einschliesst. Da geht es nicht um Almosen, sondern um unser Recht nach einem Leben voller Arbeit und Beitrag zur Gesellschaft! Das bedeutet gezielte Massnahmen gegen Altersarmut, konkrete Schritte gegen soziale Isolation und für eine bessere Gesundheitsversorgung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) muss dringend altersbezogene Armutsdaten erheben, um eine evidenzbasierte Politikgestaltung zu ermöglichen. Wir verlangen volle Partizipation: Unsere Erfahrungen und Vorschläge müssen gleichberechtigt gehört werden. Der Seniorenrat und andere Vertretungen müssen in alle relevanten Gremien und Arbeitsgruppen der Armutsplattform eingebunden werden. Die Anzahl der Mitglieder im Rat für Armutsfragen sollte auf 16–20 erhöht werden, um eine angemessene Repräsentativität zu gewährleisten und Seniorinnen und Senioren stärker zu berücksichtigen. Es braucht ausreichende Ressourcen, gezielt zusätzliche finanzielle Mittel für Massnahmen zur Unterstützung älterer Menschen. Und wir fordern verstärkte Zusammenarbeit: Das BSV muss eine bessere Koordination zwischen den Departementen erwirken, um Altersdiskriminierung entgegenzuwirken und unsere Teilhabe nachhaltig zu fördern. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitiken ist notwendig.
Handeln wir gemeinsam für eine solidarische Zukunft
Solidarität, Gerechtigkeit, Teilhabe – diese Werte haben wir in unserem Arbeitsleben gelebt und erwarten, dass sie auch für uns im Alter gelten. Die Regierung muss jetzt handeln, um sicherzustellen, dass niemand, der ein Leben lang gearbeitet hat, im Alter in Armut versinkt. Es ist an der Zeit, dass unsere Bedürfnisse nicht länger „ungesehen“ bleiben, sondern aktiv bekämpft werden.
Schlussfolgerungen: Generationensolidarität, kultureller Einbezug und Gerechtigkeit
Solidarität ist ein zentraler gesellschaftlicher Wert in der Schweiz. Sie zeigt sich in der gegenseitigen Unterstützung innerhalb der Familien sowie in der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz von Massnahmen, die das Wohl aller Generationen fördern. Gerechtigkeit, insbesondere die intergenerationelle und interkulturelle Gerechtigkeit, ist ein wichtiges Anliegen. Dies bedeutet, dass politische und soziale Massnahmen so gestaltet werden, dass sie für alle Generationen fair und nachhaltig sind. Die aktive Beteiligung aller Generationen am gesellschaftlichen Leben ist essenziell. Dies umfasst politische Mitbestimmung, das Ehrenamt und intergenerationelle und interkulturelle Projekte, die den Austausch und das Verständnis zwischen den Generationen und Kulturen fördern.
Fordern Sie mit uns Gerechtigkeit für Seniorinnen und Senioren! Ihre Unterstützung ist entscheidend. Wir, die VASOS/FARES, engagieren uns für eine gerechte Sozialpolitik und werden nicht nachlassen!
Wie es in der Präambel der Bundesverfassung heisst: «…die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen…» – ein Grundsatz, der auch für unsere ältere Bevölkerung gelten muss.
Jakob Hauri, Delegierter der VASOS im Schweizerischen Seniorenrat, SSR