Einsamkeit im Alter
Thema: News, Sozialpolitik
Einsamkeit als gesellschaftliche Herausforderung

Deshalb braucht es ein Netzwerk und einen Aktionsplan
Der bekannte Psychiater Manfred Spitzer nannte die Einsamkeit «schmerzhaft, tödlich und ansteckend». Chronische Einsamkeit ist heute weit verbreitet. Verantwortlich dafür sind unter anderem gesellschaftliche Ursachen wie Armut und Diskriminierung.
Warum wird ein Mensch einsam? Das ist gar nicht so einfach zu verstehen. Wissenschaft-liche Untersuchungen zeigen, dass vielfältige Ursachen am Beginn einer Vereinsamung stehen können. Oft wirken mehrere Faktoren zusammen.
Schlagzeilen in den Medien suggerieren oft, dass einsame Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten («Was tun gegen Einsamkeit? 14 Experten-Tipps»). Wenn es doch nur so einfach wäre! Untersuchungen zeigen, dass gesellschaftliche Strukturen, Prozesse und Regeln einen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit von Einsamkeit haben.
So haben Studien aus verschiedenen Ländern festgestellt, dass Menschen mit geringem Einkommen überdurchschnittlich stark von Einsamkeit betroffen sind. Auch in der Schweiz stehen nicht alle Gesellschaftsgruppen gleich gut da: Bei Migrantinnen und Migranten sind Einsamkeitsgefühle deutlich stärker verbreitet als in der einheimischen Bevölkerung, wie eine Spezialauswertung der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2022 durch Prof. François Höpflinger ergeben hat.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO stellt in ihrem 2025 erschienen Report fest, dass diskriminierende gesellschaftliche Strukturen die Einsamkeit fördern können. Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder Hautfarbe benachteiligt werden, fühlen sich häufiger einsam. Auch die Altersdiskriminierung muss hier erwähnt werden. Die von der VASOS in Auftrag gegebene, 2022 erschienene Umfrage von Anna Borkowsky zeigt, dass rund die Hälfte der Hochaltrigen bereits Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund sozialer Faktoren gemacht hat.
Chronische Einsamkeit schadet der Gesundheit etwa gleich stark wie Rauchen oder Übergewicht und belastet das Gesundheitswesen. Nicht zu unterschätzen sind auch die sozialen Auswirkungen: Ein Team um die Forscherin Mareike Ernst hat anhand einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung gezeigt, dass Einsamkeit und antidemokratisches Denken assoziiert sind. Besonders deutlich ist der Zusammenhang bei Menschen, die sich «aussen vor» fühlen.
Wenn wir Einsamkeit wirksam vorbeugen und lindern wollen, müssen wir auch auf gesellschaftlicher Ebene ansetzen. Weil verschiedene Gesellschaftsbereiche betroffen sind, müssen zahlreiche Institutionen, Organisationen und Fachpersonen in einem Netzwerk zusammenarbeiten.
Der Verein «connect!» hat mit Unterstützung mehrerer Stiftungen ein solches Netzwerk aufgebaut und einen Aktionsplan aufgestellt, der Massnahmen auf individueller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene umfasst. Um die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsversorgung und Sozialwesen besser auf die Bedürfnisse einsamer Menschen auszurichten, entwickelt «connect!» einen Werkzeugkasten für Fachpersonen im Gesundheitswesen und im Sozialbereich ebenso wie für Freiwillige. Mit den Leitfäden und Hilfsmitteln soll es einfacher möglich sein, einsame Menschen zu erkennen, Abklärungen vorzunehmen und ihnen den Zugang zu unterstützenden Angeboten zu ermöglichen.
Mehr zur Einsamkeit und «connect!» folgt in den nächsten Wochen.
Thomas Pfluger, Co-Programmleiter von «connect! – gemeinsam weniger einsam»
Der Verein «connect!» setzt sich mit seinem Netzwerk dafür ein, Einsamkeit in der Schweiz vorzubeugen und zu vermindern.
Zurzeit liegt der Schwerpunkt von «connect!» auf Einsamkeit im Alter.
Weitere Informationen:
www.ch-connect.ch
Einsamkeit wird von der Gesellschaft mitbestimmt!